Workshop Crisis of Representation II

Im Juni 2017 fand auf Anregung des US-amerikanischen Religionsphilosphen Carl Raschke eine von der Forschungsplattform „Religion and Transformation in Contemporary Society“ organisierte internationale Konferenz unter dem Titel „Crisis of Representation“ statt. Dabei wurde die Frage gestellt, ob sich aktuelle Krisenphänomene in Politik, Wirtschaft, Religion und Kultur auch unter dem Gesichtspunkt betrachten lassen, dass es sich dabei um Krisen von Strukturen der Repräsentation handelt. Zumal sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig zu sein schienen, dass damit eine interessante und weiterführende Perspektive angezeigt sei, wurde die Tagung in einem Workshop, der andere Referentinnen und Referenten versammelte, fortgesetzt.


Am 12. März 2018 trafen sich Thomas Schmidt (Goethe Universität Frankfurt), Astrid Mattes (Österreichische Akademie der Wissenschaften), Michael Staudigl (Institut für die Wissenschaften vom Menschen) und Elisabeth Holzleithner, Sandra Lehmann, Andreas Gelhard und Gerald Posselt (Universität Wien) mit Mitgliedern der Forschungsplattform sowie interessierten Studierenden, um die Thematik weiter zu vertiefen.


Thomas Schmidt stellte in seinem die Tagung eröffnenden Referat zwei Ansätze gegenüber, soziale und politische Praxis vom Gedanken der Repräsentation aus zu betrachten. Die Politikwissenschafterin Paula Diehl begreift politische Prozesse nicht zuletzt ausgehend von Repräsentationsstrukturen, wobei die politische Repräsentation immer eine symbolische Seite hat. Die ästhetische Dimension des Imaginären spielt eine große Rolle in der Vermittlung des Realen und des Symbolischen. Der moderne Autonomiegedanke trennt das politische Imaginäre streng vom religiösen Imaginären, welches im Bereich der Politik keine Rolle spiele bzw. spielen dürfe. Demgegenüber stellte Schmidt die sozilogischen Untersuchungen George Batailles über die Orte der Präsenz des Heiligen. Religion verweist dabei auf Erfahrungen, welche in der instrumentellen Ordnung verloren gingen, stellt aber gerade nicht die Besetzung jenes Zentrums der Souveränität dar, welches in einer demokratischen Ordnung leer bleiben müsse.


Michael Staudigl zeigte in seinem Vortrag auf, dass Krise als intrinsisches Phänomen diskursiver Vernunft, wie sie die Moderne prägt, angesehen werden muss. Ohne Krise, die auf das andere der Vernunft verweise, könne Letztere nicht bestehen. An dieser Stelle wäre der Ort, von einer Rückkehr der Religion zu sprechen. Das Thema des Workshops, Crisis of Representation, könnte Staudigels Ausführungen zufolge darin zusammengefasst werden, dass jeder Repräsentation selbst eine Krise der Repräsentierbarkeit innewohne.


Auch Sandra Lehmann gab zu Beginn ihres Referates einen Hinweis auf das grundlegende Verständnis des Titels der Tagung: Man könne Crisis of Representation einerseits als beinahe umfassende Deutungskategorie für aktuelle Phänomene oder aber als ein Moment kritischer Analyse ansehen. Sodann wies sie in Abhebung oder kritischer Weiterführung von postmodernen Theorien, welche Bedeutung in einem Spiel von Signifikanten auflösen und den Ort des Signifikats leer lassen, auf ein eigenes Gewicht oder eine Widerständigkeit des Realen im Diskurs hin, das gewisse Zeichen fordert, andere jedoch zurückweist. Dieser Überschuss des Realen, welcher durchaus an die Einsicht der Phänomenologie erinnert, dass sich die Sache an sich und von sich selbst her zeigen müsse, arbeite in den Zeichen und stehe nicht gänzlich zur Disposition. So würden die Dinge von sich aus das lösende, ihnen entsprechende, befreiende Wort suchen. Dieses ist nicht abstrakt-allgemeiner Begriff, sondern bezeichnet sie in ihrer nicht zu substituierenden Einzelheit. Das lösende, befreiende Wort hat – entgegen einem Rückfall in eine Metaphysik der Präsenz – die Konnotation der Vergänglichkeit und Zeitlichkeit und muss damit revidierbar bleiben. Nicht so sehr als Repräsentation einer Sache zu verstehen, ist es als Eröffnung einer neuen Sichtweise, eines anderen Blicks auf die Welt zu verstehen. Es rückt damit auch in die Nähe des dichterischen Wortes.


Astrid Mattes zeigte in ihrem Vortrag mit Bezug auf Hana F. Pitkin auf, in welchen Formen die Kategorie der Repräsentation in den Diskursen der Politikwissenschaft eine Rolle spiele und benannte sodann auf Basis ihrer empirischen Studien im Bereich der Migrationsforschung einige Krisenphänomene der unterschiedlichen Formen von Repräsentation. Die Formalistic Representation hat mit den Rahmenbedingungen jeder liberalen Demokratie zu tun, insofern sie vor die Frage stellt, wer zu Wahlen zugelassen ist und wie sehr mithin gewählte Vertreter und Vertreterinnen bzw. Parteien tatsächlich einen Demos abzubilden vermögen. Die so genannte „Standing for“-Representation führt zur Frage, wer wen repräsentieren könne: Geht es um die Repräsentation bestimmter Interessen oder aber muss, wer jemand anderen repräsentiert, auch bestimmte Merkmale der repräsentierten Gruppe aufweisen (Sprache, Geschlecht, Religion, Ethnizität …)? Die Substantive Representation schließlich hat mit repräsentativen Handlungen zu tun: Wessen Interessen wird durch bestimmte Handlungen gedient? Astrid Mattes wies schließlich auf die Gefahr hin, dass es zu einer Entkopplung von Repräsentierenden und Repräsentierten komme und sich Orte, an welchen es zu einem Austausch kommen könnte, immer mehr auflösen würden. Eine wichtige Thematik sei ferner die Frage nach der Repräsentation von Minderheiten in Entscheidungsprozessen.


Dieses Stichwort konnte Gerald Posselt mit seinem Vortrag aufgreifen, in dem er die Frage stellte, in welcher Sprache diejenigen gehört werden könnten, die über keine Formen der Repräsentation verfügten. Zunächst rekonstruierte er dabei eine Debatte zwischen Foucault und Deleuze/Guattari und interpretierte Kafkas Strafkolonie als eine Erzählung, die auch ausgehend von der Frage, welche Formen der Repräsentation in dieser Geschichte statthaben, gelesen werden kann. Im Zuge dessen verwies er auf das Deleuze und Guattari in Dialog mit Kafka formulierte Konzept der minor literatures, das sich als für den Vortrag zentral erweisen sollte. In einer majoritären Sprache bilde sich der Raum für eine minoritäre Literatur; eine bestimmte Form, die eminent politischen Charakter annehme und Sprache als ganze verändern könne. Dabei zielte der Vortrag letztlich auf ein Kriterium ab, um Formen der Selbst-Minorisierung, die nicht zuletzt gegenwärtige rechte Bewegungen kennzeichnen, von einem Minoritär-Werden durch einen minoritären Gebrauch der majoritären Sprache zu unterscheiden. Die letztere Sprechweise kann hierbei nie beanspruchen, bruchlos, unmittelbar und ohne Repräsentationsstruktur nur für sich selbst zu sprechen.


Elisabeth Holzleithner rekonstruierte in ihrem Vortrag sowohl die in Österreich seit einigen Jahren statthabende Debatte um die so genannte Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit sowie die Frage nach der Bekleidung von Amtsträgerinnen und Amtsträgern, welche die Staatsmacht repräsentieren. Holzleithner bettete die Fragen einerseits in grundlegende rechtswissenschaftliche Diskurse ein und zeigte andererseits anhand zahlreicher Beispiele auf, wie die konkrete Umsetzung der entsprechenden Gesetze und Verordnungen aussieht. Dabei gab sie auch einen Ausblick auf die internationale Situation. Dem Vortrag folgte eine intensive Diskussion, die immer wieder auf die Frage nach der Rolle des Staates zurückkam. 

Der den Workshop beschließende Vortrag von Andreas Gelhard nahm seinen Ausgangspunkt bei einer Debatte von Axel Honneth und Jacques Rancière (Anerkennung oder Unvernehmen) und rekonstruierte diese vor dem Hintergrund von Hegels Phänomenologie des Geistes, wobei Andreas Gelhard die Ansicht vertritt, dass Hegel als der Denker einer Kritik der Repräsentation interpretiert werden kann und Rancière ihm in vielen Punkten näher sei als Honneth. In Bezug auf das Geistkapitel in der Phänomenologie betont Gelhard, dass es dort nicht mehr bloß um Gestalten des Bewusstseins bzw. um Individuen geht, sondern um Welten (im Plural), die aufeinanderträfen, was zu Konflikten führe. In diesem Raum müssten konkrete Akteure, die darin als endliche Menschen zusammenleben, ihre Freiheit bewähren, wobei Anerkennung und Gleichheit als Schlüsselbegriffe anzusehen seien. Am Ende des Geistkapitels kommt es zu einer Wahrnehmung von Gleichheit, die zunächst jedoch einseitig bleibt. Dass sie ihre Anerkennung durch den anderen findet, kann nicht mehr durch eine Theorie gewährleistet oder abgeleitet werden, sondern verweist in die Kontingenz menschlicher Interaktion. Diskutiert wurde im Anschluss an den Vortrag nicht zuletzt, inwiefern die Religion gerade eine Symbolisierung des am Ende des Geistkapitels statthabenden Bruches, der auf die Kontingenz menschlichen Handelns verweist, sein könne.


Die Vorträge, auf die sehr lebhafte Diskussionen folgten, werden im Dezember 2018 gemeinsam mit der Tagung Crisis of Representation I als Ausgabe 7 des Journals J-RaT publiziert