Abdullah Takim, „Zum Begriff der Ruach (Geist) im Koran“, 3. März 2018
Abdullah Takim, „Zum Begriff der Ruach (Geist) im Koran“, 3. März 2018
Am 3. März 2018 hielt das neue RaT-Mitglied Abdullah Takim vom Institut für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien im Rahmen des DiplomandInnen-Seminars einen Vortrag zur Bedeutung der beiden Begriffe Rûh (hebräisch: ruach; Geist) und Nafs (nefesch; Seele) im Koran. Rûh wird gemeinhin mit „Wind“ und „schöner Duft“ übersetzt und gilt als oberstes Prinzip der Erschaffung. Im Gegensatz dazu bespielt der Begriff Nafs die Ebene der Geschöpflichkeit. Ursprünglich hat Nafs mit dem Atem etwas zu tun und wird für die „Triebseele“ oder „Seele“ gebraucht. Dieser Begriff vollzog jedoch durch den Einfluss des Neuplatonismus einen Bedeutungswandel und wurde als „universaler Intellekt“ von islamischen Philosophen an die erste Stelle gesetzt. Wenn reflexiv verwendet meint Nafs das menschliche Selbst, also die jeweilige Person mit ihren inneren Fähigkeiten. Einige Suren, die den Begriff Nafs in der reflexiven Form verwenden, zeugen von einem auf Freiheit der/des Einzelnen beruhenden Personenbegriff im Koran (siehe insb. Suren 17: 14-15; 18:29; 17:84; 19:95). Besonders die Sure 17:14-15 gibt die koranische Hochschätzung der je individuellen Beziehung zwischen Gott und der/dem Einzelnen wieder: es gibt niemanden, der zwischen den Menschen und Gott treten könnte, jede/r hat eine eigene, originelle Beziehung zu Gott. Daher ist es einzig Aufgabe der/des Einzelnen, sich um Rechtschaffenheit zu bemühen: Lies dein (Taten-)Buch. Du selbst genügst heute, um mit dir selbst abzurechnen. Wer der Rechtleitung folgt, folgt ihr zu seinem eigenen Vorteil. Und wer irregeht, der geht irre zu seinem eigenen Schaden. Und keine lasttragende [Seele] trägt die Last einer anderen. (Sure 17:14-15)
Der Personenbegriff des Koran, welche nicht so sehr eine ausgereifte Theologie oder systematische Ethik, sondern vielmehr eine Haltung, einen Ethos darstellt, wurde von islamisch-theologischen Disziplinen übernommen und weiterentwickelt. Die Selbsterkenntnis wird im islamischen Denken, speziell der Mystik, zur Bedingung der Erkenntnis Gottes, sofern der Mensch selbst als Ausdruck der ganzen Namen Gottes erscheint. (Die lange Zeit auch in christlichen Diskursen vorherrschende Frage nach der Hierarchie zwischen Engeln und Menschen fällt im islamischen Denken zugunsten der Menschen aus, da nur sie allein imstande sind, die Potenzialität Gottes in Aktualität zu übersetzen.) Daraus resultiert, dass die Selbsterkenntnis des Menschen einen hohen Stellenwert auf seinem Weg zu Gott hat. Bedingung der Gottesliebe ist eine richtige Gotteserkenntnis; diese wiederum ist auch Selbsterkenntnis. In der Sure 5:116 oder 3:30 bezieht sich Nafs auf Gott und dient zur Herausstellung seiner Einzigkeit. Unter anderem waren diese und andere Verse wegweisend für die Entwicklung einer Ichphilosophie im islamischen Denken. Neben dieser reflexiven Verwendung findet sich Nafs auch in der Bedeutung „menschliche Seele“. Diese weist sieben Eigenschaften auf, deren drei hier erwähnt werden sollen: sie gebietet das Böse (ammâra; Sure 12:53; 50:16; 79:40), damit ist das menschliche Ego gemeint, welches das Böse befiehlt. Zugleich ist sie Gewissen, d.h. in der Lage, sich selbst Vorwürfe zu machen (lawwâma, Sure 75:2; 9:118) und ruhig (mutma’inna; Sure 89:27). Die letzte Stufe der Seele wird durch den Begriff an-nafs al-kâmila zum Ausdruck gebracht, die die vollkommene durch Gottesliebe durchdrungene Seele bezeichnet. Der Rûh wird, ähnlich dem alttestamentarischen Denken, von Gott in den ersten Menschen eingeblasen. Gott formte Adam aus Ton und blies ihm Rûh, Geist, ein: „Dann formte Er ihn und blies ihm von seinem Geist ein. Und Er machte euch Gehör, Augenlicht und Herz. Ihr seid aber wenig dankbar.“ (Sure 32:9) Rûh wird auch im Kontext der Empfängnis Marias erwähnt und ist in einem weiteren Sinne demgemäß als lebensspendendes Prinzip zu verstehen. (Der Sohn Marias, Isa (Jesus), wird dann in Sure 4:171 ein Rûh von Gott genannt.) Im Gegensatz etwa zu den Aussprüchen des Propheten Muhammad (Hadithen) findet sich im Koran keine plurale Verwendung von Rûh. Vier Verse stellen eine Beziehung zwischen Rûh und dem Amr Allahs (Befehl Gottes) her, jedoch handelt es sich bei diesen Versen um hermeneutisch schwer zugängliche Stellen. Rûh könnte interpretiert werden als etwas, das zur Fügung, zum Befehl Gottes gehört. Der Befehl Gottes geht nach „unten“ auf die Ebene der Geschöpflichkeit, um von dort als Rûh der/des jeweils Einzelnen wieder aufzusteigen. Nach der Vorstellung des Koran spielt das Herz (qalb) der/des Gläubigen eine maßgebliche Rolle bei der Manifestation Gottes. In diesem Sinne ist auch der Koran dem Propheten Muhammad in sein Herz eingegeben worden: „Und er (Koran) ist eine Herabsendung des Herrn der Welten; Mit ihm (dem Koran) ist der treue Geist herabgestiegen. Auf dein Herz, damit du einer der Warner seist, In deutlicher arabischer Sprache. Und er (Koran) ist in den Schriften der Früheren (enthalten) ...“ (Sure 26:192-6). Die Frage nach dem Geiste wurde in der islamischen Theologie auch mit dem Problem der Gottebenbildlichkeit in Verbindung gebracht. Verse, welche die Verbindung von Amr und Rûh vollziehen, lassen den Geist als „Glaube“, „Licht“ oder „Leitung“ erscheinen, welcher auch die toten Herzen zu beleben vermag.
Miriam Metze