Gastvortrag "Säkularisation" von Ugo Perone

Am 14.03.18 sprach auf Einladung des Fachbereichs Theologische Grundlagenforschung Ugo Perone, Inhaber der renommierten Guardini-Professur für Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Schüler des italienischen Philosophen Luigi Pareyson. Thema seines Gastvortrages war die Frage nach der Säkularisation, und sein Ziel das Aufzeigen einer produktiven Wechselwirkung zwischen Säkularisation und Religion; methodisch i.S. eines philosophischen Erschließens: das Wesentliche einer Problematik soll erfasst und erkannt, nachhergehend interpretatorisch entfaltet werden.


In dieser Absicht unterscheidet Ugo Perone vier Aspekte der Säkularisation. Erstens als hermeneutische Kategorie, um Phänomene in ihrem kulturellen Zusammenhang zu beleuchten. Insbesondere der Anspruch des Christentums auf allumfassende Sinnstiftung in einer Kultur wird dabei kritisch reflektiert. Zweitens sind mit der Säkularisation Fragen nach Kontinuität oder Diskontinuität verknüpft: Beinhaltet Religion immer schon Momente des Säkularen, und umgekehrt, wie viel Religiöses steckt im Säkularen? Oder liegen Brüche vor, d.h. eine neue Kultur entsteht, ohne aber ihre alten Inhalte zu verlieren, welche nur je neu gelesen werden? Drittens steht die Säkularisation in einem besonderen Verhältnis zur Moderne, da sie mitverantwortlich ist für die historische Entstehung unserer gegenwärtigen europäischen Gesellschaft. Die Moderne begreift Perone als strukturelles Unbehagen i.S. eines erfüllten Projekts seiner Form nach, das gekennzeichnet ist von immerfort gefordertem Distanznehmen zum Tradierten, um das Bestehende fortwährend neu zu begründen und zu interpretieren. Viertens betrat in der Moderne eine neue Variante der Politik die Bühne. Das Politische löste die Religion als allumfassende Instanz der Sinnstiftung ab, wobei gegenwärtig ein kritischer Punkt erreicht sei, da die Politik keine neuen Sinnwelten mehr erzeuge.


Entlang dieser Aspekte schlussfolgerte Ugo Perone, dass Säkularisation angesehen werden kann als formale Kategorie, die Kulturerscheinungen grundlegend neu ausrichtet. Entsprechend sind Antworten zu finden auf das Unbehagen der Moderne im Zuge dieser Umgestaltung, indem die Perspektive der Gegensätzlichkeit von Religion und Säkularisation vermieden werden soll: nicht die Möglichkeit der Religion oder des Glaubens ging verloren, sondern nur ihre Form als Apriori und allumfassende Sinnstiftung. Gibt die Religion diesen Anspruch auf, kann sie ihr Wesen neu fassen bzw. sich dieses neu erschließen, nämlich als Neuentdeckung der Frage nach der Intersubjektivität, als Achtung und Aufmerksamkeit für die Differenz, exemplarisch am Paradox der Mensch gewordenen, aber zugleich ewig-göttlichen Wahrheit in der Botschaft des Christentums. Jede Gesellschaft bedürfe der Differenz und ihrer Überbrückung durch Antworten, wie sie nur die Religion zu geben imstande sei, so Ugo Perone abschließend, wodurch sie jeder völligen Säkularisation widerstehe.


Daniel Johannes Huter