Am 14. Und 15. November 2017 fand im Dekanatssaal der Katholisch-Theologischen Fakultät die Tagung „Can Polemics innovate? Change and Continuity in Jewish-Christian Polemics from Late Antiquity to the Modernity“ statt. Wie eingangs durch Jeremy Cohen herausgestrichen, befassten sich die Beiträge der Tagung mit einer weiten Spannbreite an Themen, die zwischen Geschichte und Geschichtsschreibung der sich wandelnden Jüdisch-Christlichen Polemik zu verorten sind. Hermeneutische Strategien etwa, die von Juden und Christen benutzt wurden, um rivalisierende Ansprüche auf heilige Stätten zu erheben und rechtzufertigen, wurden von Ora Limor aufgezeigt. Die bewegte Geschichte des Ausruhens am Sabbat und am Sonntag sowie die damit einhergehenden divergierenden Entwicklungen, die sich in christlichen Ostkirchen und Kirchen im Westen etablierten, wurden wiederum von Israel Jacob Yuval in den Blick genommen, um den Umgang von Juden mit diesen internen christlichen Ausdifferenzierungen zu debattieren und die Frage nach vergleichbaren Entwicklungen im Judentum zu stellen. Philippe Bobichon hingegen ging anhand wenig bekannter mittelalterlicher und frühneuzeitlicher anti-christlicher und jüdisch polemischer Schriften den Fragen nach, wie sich diese Texte im Vergleich zu anti-jüdischer Literatur abgrenzen ließen, welche Reaktionen diese hervorriefen und inwieweit es sich dabei um christliche anti-jüdische Attacken handelte. Demgegenüber griff Daniel J. Lasker Texte des Priesters Daoud al-Muqammas aus dem 9. Jahrhundert auf, die, obwohl es sich bei diesen Texten, die zu den ersten jüdisch-christlichen Polemiken zählen, um eine jüdische Antwort auf christliche Kritik handelt, interessanterweise keineswegs als Teil einer jüdisch-theologischen Selbstreflexion zu verstehen sind. Historiografisch im gleichen Zeitraum verbleibend befasste sich Alexandra Cuffel in ihrem anschließenden Beitrag mit unterschiedlichen Typen von Polemik im Großraum des östlichen Mittelmeeres. Bezug nahm sie unter anderem auf polemische Argumentationen oder Dialoge, Chronologien, apokalyptische Texte und hagiographische bzw. antihagiographische Erzählungen. Dem folgend arbeitete Yaacov Deutsch anhand eines der ältesten jüdisch anti-Christlichen Polemiken – Teledot Yeshu – wechselseitige Motive zwischen Kontinuität und Veränderung heraus. Bezugnehmend auf den ersten offiziell dokumentierten jüdisch-christlichen Disput über den Talmud (1240), der durch zahlreiche hebräische und lateinische Schriften belegt wird, war Ursula Ragacs in ihrem Beitrag unter anderem daran interessiert, ein Bild darüber zu vermitteln, inwieweit sich jüdische Texte in christlicher Hand befanden und welche Anstrengungen unternommen wurden, um Zugang zu noch ausstehenden Schriften zu erhalten.
Mit der Fokussierung auf die Sabbatyon Legende wurde von Daniel Stein-Kokin im Folgenden der Übergang in das 15. und frühe 16. Jahrhundert vorgenommen, in dem entlang der Sabbatyon Legende vor allem den Veränderungen von Ritualen in der Synagoge und der jüdischen Identität, die mit „halakhicization“ und einer gewissen Reliquisierung in Verbindung standen, nachgegangen wurde. Bezugnehmend auf Ram Ben-Shalom, demzufolge es im Jahr 1391 zu einer Massenkonversion kam, die in zwei Gruppen eingeteilt werden konnte, knüpfte Chaim Hames an Fragen der Identität an – veranschaulicht anhand eines konvertierten Juden, der in der Öffentlichkeit weiterhin als Christ lebte – und spannte dadurch den Konfliktraum zwischen äußerem und innerem Glauben sowie deren Folgen bis ins 16. Jahrhundert auf. Carsten Wilke wählte als Ausgangspunkt die Hugenotten Diaspora, die sich nach der Aufhebung des Ediktes zu Nantes (1685) formierte. Trotz der breiten Aufarbeitung hinsichtlich ihres Einflusses auf die intellektuelle Geschichte der frühen Aufklärung blieben philosophische Aspekte der Hugenotten-Jüdischen Begegnung und deren Auswirkungen auf die Jüdisch-Christliche Debatte weitgehend unbearbeitet und wurden im Rahmen dieses Beitrages anhand von Schriften des portugiesischen Juden Abraham Gómez Silveyra (1656-1741) aufgerollt.
Dem anschließenden 17. und frühen 18. Jahrhundert wurde ein Paradigmenwechsel im Bereich des religiösen nachgesagt, den Christiana Facchini entlang der Schriften von Leon Modena’s Magen ve-herev nachzeichnete und so eindrücklich zeigte, wie polemische Schriften zu Innovationen führten. Károly Dániel Dobos stützte sich wiederum auf relativ unbekannte polemische jüdische Texte aus der frühen modernen italienischen Provenienz, die er mit mittelalterlichen Schriften verglich. Auf diesem Weg zeigte er auf, wie diese Schriften in ihrer Funktion radikalen Veränderungen unterlagen: indem sie zwar theoretisch durchwegs als literarische Texte betrachtet werden konnten, was sie wiederum von älteren jüdischen anti-Christlichen Polemiken unterschied, andererseits aber konnten sie als Parodien innerhalb eines polemischen Feldes identifiziert werden, wodurch sie zu einem neuen Texttypus erwuchsen. Im Anschluss ging Ram Ben-Shalom am Beispiel von Texten des Händlers Eleazar Shalom von Polen (ca. 1800) der Frage nach, inwieweit diese zur Aufklärung eines neuen Kapitels zwischen jüdischen und christlichen Polemiken dienten. Vor dem Hintergrund dieses umfangreichen historisch-historiographischen Aufrisses schloss Maria Diemling schließlich den Bogen zu aktuellen Debatten, mit der Frage, wie Studenten die Komplexität der Jüdisch-Christlichen Beziehungen adäquat und auf facettenreiche Weise vermittelt werden könnte.