Lecture Series mit Cornelia Offergeld: „Gedächtnis der Stadt“
Im Rahmen der Lecture Series „Religion – Ästhetik – öffentlicher Raum“ fand am 23. Juni 2022 die erste Veranstaltung statt. Vortragende war die Kuratorin und Kunstwissenschaftlerin Cornelia Offergeld, die seit 2021 kuratorische Leiterin der Abteilung „Kunst im öffentlichen Raum Wien“ (KÖR) ist.
Den Hintergrund der Veranstaltung spielte die Frage nach Bleiben in Prozessen der Transformation, denen öffentlicher Raum heute ausgesetzt ist: Welches Gedächtnis prägt Stadt und öffentlichen Raum? Wo ist dieses selbst in einem Prozess der Erosion begriffen und wie wird es immer wieder neu inszeniert? Welche Bedeutung haben Kunst und künstlerische Intervention dabei? Und nicht zuletzt: Welche Rolle kommt Religionen mit ihren Sakralbauten und Denkmälern zu, die bis heute öffentlichen Raum prägen?
Im ersten Teil der Veranstaltung hielt Cornelia Offergeld einen Vortrag, der in viele aktuelle Fragen der Präsenz von Kunst im öffentlichen Raum, welche die klassische „Denkmalkunst“ abgelöst habe, einführte:
Kunst im öffentlichen Raum ist eine eigenständige interdisziplinäre Kunstgattung, die explizit für die Öffentlichkeit geschaffen wird und die Veränderungen in dieser Öffentlichkeit spiegelt. Sie kann nie ohne Gesellschaft gedacht werden, denn sie findet als „Öffentliche Kunst“ am Schnittpunkt von Kunst, Gesellschaft und Politik statt. Für Kunstschaffenden lässt sich daraus eine soziale Verantwortung ableiten. Sie müssen sich die grundsätzlichen Fragen stellen, ob sie ästhetische Zeichen in diesen Raum setzten wollen, die zu ihnen selbst wieder zurückführen, indem sie ihrer Individualität Ausdruck verleihen oder ob sie an der Gesellschaft interessiert sind. Wollen sie den städtischen Raum ästhetisch erweitern, ihn kommentieren oder Gesellschaft mitgestalten?
Mit der Forderung nach einer Autonomie der Kunst wurde im 20. Jahrhundert eine sich selbsterklärende Sprache verlangt, die sich hierarchischem Denken verweigert, bzw. nach Theodor W. Adorno Herrschaft subversiv in Frage stellt. Eine Generation nach Adorno stellte Jacques Rancière fest, dass zwischen der autonomen Kunst und ihrer „Politisierung“ kein Widerspruch bestehe, da die Synthese dieser beiden Felder bereits in der Grundstruktur von Ästhetik eingeschrieben sei. Das Spannungsfeld zwischen Individualität und Kollektivität trifft auf die Frage wie Communities aktiviert werden können, bzw. welche Freiräume den Communities im öffentlichen Raum zur Verfügung stehen. Das aktuell vermehrte Arbeiten von Kollektiven, die sich mit sozialen Fragen beschäftigen, ist ein klares Zeichen für den gesellschaftspolitischen Einfluss, den die Kunst heute nehmen möchte. (C. Offergeld)
Kunst im öffentlichen Raum gehe es darum, offene Stellen im Stadtraum zu finden und diese zu gestalten. Cornelia Offergeld zeigte im Rahmen ihres Vortrags zahlreiche Bilder aus Wien, bevor wir uns gemeinsam auf einen Weg durch die Wiener Innenstadt machten, der uns zum Ballhausplatz (Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz, Olaf Nicolai), dem Judenplatz (Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah, Rachel Whiteread) und dem Dr.-Karl-Lueger-Platz (Lueger-Denkmal, Josef Müllner) führte, wo wir jeweils über die Frage, wie mit Erinnerung an diesen Orten künstlerisch umgegangen wird, diskutierten.