Neutraler Staat? Interdisziplinäre Perspektiven auf die Autonomie von Religion, Kunst und Wissenschaft
Neutraler Staat? Interdisziplinäre Perspektiven auf die Autonomie von Religion, Kunst und Wissenschaft
Wann: 19.–20. Juni 2023
Wo: 19. Juni: Dekanatssaal der Katholisch-Theologischen Fakultät, Hauptgebäude. 20. Juni: Juridicum, Dachgeschoss.
Religion, Wissenschaft und Kunst verbindet ein durch das jeweilige Selbstverständnis geformter Anspruch auf Autonomie. Zu deren Schutz trifft der Staat institutionelle Vorkehrungen, die jeweils spezifische Konzepte von der „Eigengesetzlichkeit“ dieser Bereiche und damit vom Sinn der entsprechenden grundrechtlichen Freiheitsgarantien widerspiegeln. Damit sind auch normative Leitvorstellungen von „neutralem“ staatlichen Verhalten gegenüber diesen autonomen Sphären verbunden. In einem breiteren Bewusstsein steht vor allem die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates: Was bedeutet sie, und was sind die strukturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Vergleich zum Verbot eines staatlichen „Wissenschafts-“ oder „Kunstrichtertums“?
Nach einleitenden Überlegungen zur Möglichkeit neutraler Staatlichkeit wendet sich die Tagung der Binnenperspektive zu und knüpft beim jeweiligen Selbstverständnis der Grundrechtsträger an. Eine philosophische Synthese leitet über zu Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichen rechtlichen Autonomie- und Neutralitätsverständnissen. Eine empirische Analyse politischer Neutralitätsdiskurse bildet den Auftakt zur abschließenden Podiumsdiskussion mit Expert:innen zu kultur-, wissenschafts- und religionspolitischer Praxis.
Das detaillierte Programm zur Konferenz finden Sie hier.
Konferenzbericht
Umkämpfte Neutralität
Von 19. bis 20. Juni fand im bereits hochsommerlich heißen Wien die vom Forschungscluster „Transformationen des Rechts in Religion und Gesellschaft“ des Forschungszentrums RaT veranstaltete Konferenz „Neutraler Staat? Interdisziplinäre Perspektiven auf die Autonomie von Religion, Kunst und Wissenschaft“ statt. Ziel der unter der Leitung von Prof. Stefan Hammer (Institut für Rechtsphilosophie) und Prof. Andreas Kowatsch (Institut für Kirchen- und Religionsrecht) organisierten Veranstaltung war es, Expert*innen aus den drei Bereichen miteinander ins Gespräch zu bringen und einen Einblick in aktuelle Debatten und Probleme zu bieten. Was alle miteinander verbindet, ist ihr Autonomieanspruch und das daraus resultierende, spannungsreiche Verhältnis zum Staat (ein besonders virulentes Beispiel hierfür bilden die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie der letzten Jahre).
Durch diese Konstellation wird ein breiter Raum an Fragen eröffnet, dem sich die Beiträge zur Konferenz aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu nähern versuchten: Während sich manche Beiträge den Autonomieansprüchen und den sich daraus ergebenden alten und neuen Herausforderungen aus der Innenperspektive der jeweiligen Sphären widmeten (so etwa Jakob Deibl zur Kunst, Marie-Luisa Frick zum Bereich Wissenschaft und Marcello Neri aus der Sicht der katholischen Theologie), machten sich andere auf die Suche nach Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den unterschiedlichen Bereichen (so Reinhold Esterbauer aus theologisch-philosophischer, Stefan Hammer aus verfassungstheoretischer und Astrid Mattes aus politikwissenschaftlicher Perspektive und anhand von aktuellen Beispielen der österreichischen Debatte). Einen weiteren Schwerpunkt der Konferenz bildete die juristische Sicht auf den titelgebenden Begriff der staatlichen Neutralität (so Markus Müller im Modus der kritischen Befragung, während Andreas Kowatschs Beitrag sich mit der rechtlichen Situation in Österreich sowie mit den vielen juristischen Facetten des Neutralitätsbegriffs befasste). Zum Abschluss diskutierten Vertreter*innen aus den unterschiedlichen Bereichen die aktuellen Herausforderungen und Probleme aus der Sicht der Alltagspraxis (Cornelia Offergeld aus dem Bereich der Kunst, Imet Mehmedi aus der Sicht der Frei-Alevitischen Glaubensgemeinschaft und Dieter Beck von der Evangelischen Kirche in Österreich; moderiert wurde die Diskussion von Katharina Limacher).
Aus den vielen kenntnisreichen Beiträgen und der angeregt geführten Diskussion gingen vor allem zwei Punkte als entscheidend hervor: Erstens ist unter den aktuellen rechtlichen und sozialen Bedingungen Skepsis bezüglich der Möglichkeiten religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates angebracht. Zweitens ist eine Krise des Autonomieanspruchs der verschiedenen Bereiche, insbesondere jedoch der Wissenschaft, zu konstatieren: Die Selbstbestimmung gerät unter den zunehmenden ökonomisch-politischen Abhängigkeiten zusehends unter Druck. Dies führt vor Augen, wie wichtig es ist, die Begriffe der Autonomie und Neutralität stets von Neuem kritisch zu befragen.
Die Beiträge der Konferenz werden in einem Band der RaT-Printreihe erscheinen.