Workshop: Zeitdiagnostik religiöser Vielfalt in Wien und Österreich
Ein Bericht von HS-Prof. Dr. Karsten Lehmann:
Am 13. und 14. September 2024 fand im Dekanatssaal der Katholisch-Theologischen Fakultät ein internationaler Workshop zur Zeitdiagnostik religiöser Vielfalt in Wien und Österreich statt. Im Zentrum standen folgende Fragen: Wodurch zeichnet sich religiöse Vielfalt in Wien und Österreich aus? Wie lässt sie sich praxisnah auf den Begriff bringen? Worin bestehen die Besonderheiten der Situation vor Ort im internationalen Vergleich? Was bedeutet das für professionelles Handeln? Der Workshop wurde von HS-Prof. Dr. Karsten Lehmann organisiert und durchgeführt. Finanziert wurde er von der Stadt Wien, dem Forschungszentrum „Religion and Transformation in Contemporary Society“ und der KPH Wien/Krems.
Ausgangspunkt des Workshops war die Beobachtung, dass Menschen, die beruflich mit Religion und religiöser Vielfalt konfrontiert sind (wie z.B. Lehrer:innen, Polizist:innen, Verwaltungsangestellte oder Journalist:innen), häufig das begriffliche Instrumentarium fehlt, um mit solchen Phänomenen umzugehen. Unter Rückgriff auf aktuelle religionssoziologische und religionswissenschaftliche Forschung sowie auf das Konzept der sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnostik hatte sich der Workshop zum Ziel gesetzt, einen innovativen Beitrag zum Umgang mit dieser besonderen Situation zu leisten.
Das Treffen begann am 13. September 2024 mit zwei Keynotes – zum einen einer Keynote von Univ. Prof. emeritus Dr. Grace Davie (University Exeter / UK) unter dem Titel Religion in modern Europe: A continually changing context und zum anderen einer Keynote von Univ. Prof. Dr. Oliver Dimbath (University Koblenz / D) unter dem Titel Solidarity and the Problem of the Transcendent, Religiosity in the light of the sociological view of the present. Zusammen lieferten diese beiden Beiträge einen hoch inspirierenden Referenzrahmen für die weiteren Diskussionen indem sie insbesondere die vielfältigen Dynamiken religiöser Vielfalt hervorhoben.
Im Zentrum des ersten Workshop-Tages stand die Situation in Wien und Österreich. HS-Prof. Dr. Edda Strutzenberger-Reiter (KPH Vienna/Krems / A) gab einen Einblick in die Lehrtätigkeit an der KPH Wien/Krems unter dem Titel Teacher Training in the Context of Religious Plurality. Dr. Anna Rosa Galiley (University Vienna / A) präsentierte ein Paper mit dem Titel Conflict instead of Dialogue? A post October 7th Case Study of the Vienna-based OSCE. HS-Prof. Dr. Karsten Lehmann (KPH Vienna/Krems / A) beschäftigte sich mit den Regimen religiöser Vielfalt in Österreich: Legal Explication of religious Plurality – Accreditation of religious Communities in Austria.
Der zweite Tag des Workshops stand im Zeichen internationaler Vergleiche: Zunächst präsentierte Dr. Carla Hagen (University Bern / CH) ein Paper zu den Yenish in der Schweiz: From a bi-confessional Structure to a Diversity of Worldviews in Switzerland, The example of the Yenish minority. Dann gaben Dr. Manéli Farahmand und Dr. Mischa Piraud (CIC, Geneva) Einblicke in drei aktuellen Kartographie-Projekte mit dem Titel New religious Landscapes in Switzerland, Results from Mapping Projects. In einem zweiten Panel ging es um die Situation religiöser Vielfalt in Südafrika. Univ. Prof. Dr. Asonzeh Ukah (University Cape Town / SA) sprach über Religious Plurality, Excess and Waste, Governing Africa’s Diverse Religious Market. Das Paper von Dr. Fungai Chirongoma (Stellenbosch University / SA) hatte den Titel Tolerance, Cooperation, Competition and Marginalization, The Dynamics of Religious Pluralism in South Africa.
In ihrer Gesamtheit haben die verschiedenen Beiträge zum einen gezeigt, wie eng die (nationalen) rechtlichen Regelungen religiöser Vielfalt mit der Situation von Religion(en) verbunden sind - auf der Mesoebene von Organisationen und Bewegungen ebenso wie auf der Mikroebene individueller Vorstellungen. Das eine kann kaum ohne das andere diskutiert werden. Dies gilt insbesondere für den praktischen, professionellen Umgang mit Religion(en). Andererseits haben gerade die Vergleichsfälle noch einmal die Besonderheit der religiösen Vielfalt in Österreich unterstrichen - etwa im Hinblick auf die oft enge Kooperation zwischen religiösen und politischen Institutionen in Österreich, das (noch) vergleichsweise geringe Konfliktpotential (etwa im Vergleich zu Südafrika) sowie den hohen Grad an Homogenität in Österreich (etwa im Vergleich zur Schweiz mit ihren vielfältigen kantonalen Lösungen).
Die Beteiligten planen eine Publikation ihrer Beiträge.