Lesung und Gespräch mit Elisabeth Schmidauer in der Buchhandlung Herder

Jenseits der Erregungswellen, von denen der Buchmarkt mit seinen oft berechenbaren Shortslists und Nominierungen aufgewühlt wird, gibt es immer wieder leise und aufregende Entdeckungen. Gut, dass es sie gibt, und man nicht immer nur mit Erwartbarem konfrontiert wird. Die Wiener Autorin Elisabeth Schmidauer ist so ein Fall. Am 11. Oktober war Sie Gast der „Poetikdozentur Literatur und Religion“, um über ihren jüngsten Roman zu sprechen.

Ein Kosename gibt dem Buch den Titel: „Fanzi“, das ist Franz, dessen Familiengeschichte hier erzählt wird.  Der Roman erzählt eine breite Familiengeschichte, die vom 1. Weltkrieg bis in unsere Gegenwart reicht, aber vor allem durch die Ereignisse der NS-Zeit überschattet wird. Der Krieg hat in den Biografien der einzelnen Akteure tiefe Prägemale hinterlassen. Am dramatischen Klimax der Erzählung steht die Mühlviertler „Menschenjagd“ im Februar 1945, bei der hunderte aus dem KZ Mauthausen entflohene Häftlinge von der Zivilbevölkerung gejagt und bestialisch ermordet wurden. Neben der Perspektive von Franz (das ist „Fanzi“), der als junger Bursch den Krieg erlebt und der die familiäre Schuldgeschichte durch die Nachkriegszeit bis ins heute weiterträgt, steht vor allem seine Enkelin Astrid im Fokus. Dadurch bekommt die Erzählung eine weitere, drängende und gegenwärtige Ebene, denn Astrid ist Biologin und zutiefst beunruhigt von der Klimakrise und vom drohenden Sterben der Natur.

Elisabeth Schmidauer, die ursprünglich aus Oberösterreich stammt, las drei längere Stücke aus ihrem Roman. Im anschließenden Gespräch wurden mehrere Spuren verfolgt: Trotz der grausamen Ereignisse, die Franz‘ Biographie prägen, werden immer wieder tiefe Momente der Glücks gezeichnet – ist hier eine Art ursprünglicher Paradieszustand angespielt? Und woher kommen diese intensiven Erfahrungen der Fülle, des Aufgehobenseins?

Die Schuldgeschichte der Familie im Roman spinnt sich über mehrere Generationen fort, die Schuld der Vorfahren ist nicht einfach weg, sie ist weiter präsent und prägt noch die Nachkommen der zweiten und dritten Generation. Sind hier Anklänge an die Idee der Erbsünde zu sehen? Wie gelingt es den Akteueren, aus dieser Schuldgeschichte auszubrechen und Versöhnung zu finden?

Ein weiteres Motiv, das sich durch den Roman zieht, ist die menschliche Erfahrung des „Ungewollt-seins“, die in Spannung zum Bedürfnis nach Anerkennung steht: Der Mensch ist ein „gewollt sein wollendes Wesen“ (Hans Blumenberg). Das Gewollt sein gibt ihm Lebensgrund, hält ihn im Dasein. Eindrucksvoll schilderte Elisabeth Schmidauer, dass bei aller Trostlosigkeit des Erzählten ihr literarisches Schreiben nie ohne das Moment der Hoffnung auskommen kann, nie bei dieser Trostlosigkeit einfach stehen bleibt. Immer gibt es eine Sehnsucht nach Auflösung, danach, dass es „gut werden“ möge und der Tod nicht das letzte Wort habe.

 „Das Helle, Schimmernde, das in seinem Leben gewesen war, vor langer Zeit. Da war eine Wiese gewesen. Da war ein Mädchen gewesen. Tanzte das Mädchen in der Wiese, setzte es sich ins Gras, pflückte es Klee, Margeriten, Glockenblumen, und hob es jetzt den Kopf und das helle Licht strahlte um sein Haar, etwas fuhr in seine Brust, eine Freude, so groß, dass sie wehtat.“
Elisabeth Schmidauer, Fanzi. Roman, Picus Verlag: Wien 2021, S. 17

 

Dr. Tobias Mayer
Mitarbeiter der Buchhandlung Herder; Koordination „Poetikdozentur Literatur und Religion“